Neulich war so ein Tag, an dem plötzlich gar nichts mehr ging. Müßig zu erwähnen, dass es auch noch ein Montag war. Ich stand im Bademantel im Schlafzimmer. Es war mittlerweile halb zwölf mittags, aber ich war noch nicht einmal dazu gekommen, mich nach dem Duschen einzucremen und anzuziehen geschweige denn, mir auch nur einen Klecks Make-up ins Gesicht zu werfen. Mein Mann steckte in einer seiner zig Telefonkonferenzen im Home Office, und ich war bemüht, einerseits unser Kind davon abzuhalten, meinen Mann bei der Telko zu stören und andererseits das Chaos in den Griff zu bekommen, das sich seit Tagen bei uns türmte: Wäscheberge, Altpapier, klebrige Haferflocken-Kleckse von meinem Sohn in der Küche, herumfliegende Bälle aus dem Bällebad.
Ich wollte einfach nur noch schlafen…
Fünf Tage war unser Kind krank gewesen und konnte nicht in die Kita. Zwar war er eigentlich schon wieder kerngesund, aber wir wollten ihn aus vorauseilendem Gehorsam nicht zu früh wieder in die Kita schicken. Und seit genau letzter Nacht hatte ich mir den Infekt von ihm eingefangen. Da stand ich nun mit Kopfschmerzen, Übelkeit und dem dringenden Wunsch, mir die Decke über den Kopf zu ziehen und einfach nur zu schlafen. Am besten 100 Jahre, so wie Dornröschen.
In dem Moment riefen meine Eltern an, die sich wegen Corona große Sorgen um uns machen und wir uns um sie. Und die ich mittlerweile seit knapp vier Wochen nicht mehr gesehen hatte. Während wir telefonierten, merkte ich, wie der Kloß in meinem Hals plötzlich immer größer wurde. Wie sich alles zusammenschnürte. Wie mir bewusst wurde, dass ich genau jetzt einfach nicht mehr konnte.
Plötzlich vermisste ich alle meine Liebsten wahnsinnig
Ich hatte genug von allem. Von Corona. Von der Angst um meine Familie und Freunde. Von den Kontaktbeschränkungen. Ich weiß, dass die Maßnahmen richtig und wichtig sind. Aber plötzlich vermisste ich alle meine Liebsten wahnsinnig doll. Freunde, die ich zum Teil das ganze Jahr noch nicht gesehen hatte. Unbeschwerte Mädelswochenenden, Spontanbesuche bei den Großeltern, Plätzchen backen mit Freundinnen, die riesige Geburtstagsparty, die ich dieses Jahr im November eigentlich schmeißen wollte. Und während ich da so stand, mit dem Telefon in der Hand, den Stimmen meiner Eltern im Ohr und den Tränen, die meine Augen füllten, tat sich mein Sohn plötzlich wahnsinnig am Kopf weh und fing an zu schreien. Und in dem Moment brach alles aus mir raus.
Ich weinte und weinte und weinte
Wir beendeten schnell das Telefonat, ich nahm mein weinendes Kind in den Arm und konnte selbst nicht mehr aufhören zu weinen. Ich weinte und weinte und weinte. Mein Sohn war natürlich völlig verdutzt, schließlich hatte er mich noch nie so gesehen. Denn wie wahrscheinlich jede Mama versuche ich vor ihm in der Regel nicht zu weinen, genauso wie mein Mann und ich versuchen, uns nicht vor dem Kind zu streiten. Aber ich konnte einfach nicht anders. Ich erklärte ihm, dass ich traurig sei. Krank und müde. Genauso krank wie er in den letzten Tagen war. Und dass ich unbedingt schlafen musste.
„Mama traurig“
Zu behaupten, er sei wahnsinnig empathisch gewesen, wäre jetzt übertrieben. Das kann und will ich von einem Zweijährigen auch nicht erwarten, der in seinem Alter einfach noch keinen Perspektivwechsel vollziehen und sich noch nicht in die Gefühle anderer hineinversetzen kann. Aber ich spürte, dass er meine Nähe suchte. Er sagte „Mama traurig“ oder „Mama Heia machen“, spielte dann zwar weiter mit seinem Bagger, blieb aber in meiner Nähe.
Es ist okay, wenn nichts okay ist
Ich schluchzte weiter vor mich hin, versuchte ihm jedoch so gut es ging, meine Gefühle zu erklären. Denn natürlich wollte ich ihn mit dem Gefühlschaos nicht allein lassen. Aber ich merkte, dass es völlig okay ist. Völlig okay, dass er sieht, dass Mama nicht immer gut drauf ist. Dass Mama auch ihre Grenzen hat. Und ja, wer hätte das gedacht, dass Mama auch nur ein Mensch ist. Der manchmal einfach nicht mehr kann. Und alles Recht der Welt hat, das auch einfach mal zu zeigen. Wichtig war mir nur, das Kind dabei zu begleiten und meine Gefühle für ihn zu übersetzen. Dann kann man auch ruhig mal eine Packung Taschentücher vollheulen. Und sich aufs Sofa schmeißen und gerade mal keine Lust haben, Bagger und Feuerwehr zu spielen.
Vier-Augen-Gespräch von Mann zu Mann
Als mein Mann mit der Telefonkonferenz fertig war und sah, wie schlecht es mir ging, schnappte er sich das Kind und ging zwei Stunden mit ihm raus. Und ich? Ich schlief. Fast zwei selige Stunden. Ja, ich weiß, dass ich mich mit meinem Mann glücklich schätzen darf. Und fragte mich in dem Moment zum 100. Mal, wie zur Hölle Alleinerziehende das alles schaffen. Sie haben meinen allerhöchsten Respekt.
Als die Jungs nach Hause kamen, war ich halbwegs ausgeschlafen. Nein, es ging mir noch nicht wieder gut. Aber besser. Sagen wir: okay. Ich hatte zumindest die Kraft, ein gesundes Abendessen zu machen und mit meinem Sohn noch eine Stunde lang innig zu spielen. Vielleicht lag das auch an dem wunderschönen Blumenstrauß, den mir die Jungs mitbrachten. Und an dem „Vier-Augen-Gespräch von Mann zu Mann“, das mein Mann abends mit unserem Sohn führte. „Wenn es einem Mädchen, das du gerne hast, mal nicht gut geht, musst du dich gut um sie kümmern. Und ihr Blumen kaufen. Das hilft fast immer.“
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