Momlife

„25 Euro als Selbstständige ist kein ausreichender Stundensatz“

10. April 2021
Jessica Knackstedt

Sich aus der Elternzeit heraus selbstständig machen – das wünschen sich viele Mütter. Jessica Knackstedt hat es gewagt: Die Mutter von dreijährigen Zwillingen hat sich in der Elternzeit als virtuelle Assistentin und Gründungscoach selbstständig gemacht und berät seitdem Mütter, die Ähnliches planen. Im Interview erzählt uns die gelernte Bankkauffrau, warum viele Mamis eine zu romantische Vorstellung von der Selbstständigkeit haben, welche typischen Fehler gerade Frauen dabei häufig machen und wie sie selbst es geschafft hat, sich mit zwei kleinen Kindern eine Selbstständigkeit aufzubauen.

Du hast dich in der Elternzeit als virtuelle Assistentin und Karrierecoach selbstständig gemacht. Wie genau dürfen wir uns deinen Job und Arbeitsalltag vorstellen?

Das stimmt, begonnen habe ich als virtuelle Assistentin. Doch immer häufiger wurde ich gefragt, wie ich das gemacht habe – mich selbstständig zu machen in der Elternzeit. Da habe ich dann eine Business-Coach-Ausbildung absolviert und coache nun Frauen auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit. Mein Arbeitsalltag sieht so aus, dass ich in der Regel montags coache und meine Gruppenprogramme durchführe und in der restlichen Zeit als virtuelle Assistentin meine Kundinnen bei ihren Onlinekurs-Launches unterstütze. Als virtuelle Assistentin unterstütze ich beim Launch von Online-Produkten. Sowohl strategisch als auch technisch. Mein Schwerpunkt liegt auf den Tools Ontraport und elopage. Als Coach unterstütze ich vor allem bei der Bürokratie der Gründung und beim Finden der ersten Kunden: Wie lerne ich von meiner Zielgruppe und entwickle mit dieser meine Produkte?

Wie hast du es geschafft, dir in der Elternzeit ein eigenes Business aufzubauen? Das ist doch in der Regel eine sehr fordernde Zeit mit kleinen Kindern zu Hause. Hattest du viel Unterstützung?

Tatsächlich hatte ich keine Kinderbetreuung. Die Zwillinge waren 18 Monate alt und haben mittags noch geschlafen. Meine Arbeitszeit liegt bei max. 20 h in der Woche. Was ich während des Mittagsschlafes nicht schaffte, habe ich dann in den Abendstunden erledigt. Ich habe meine Selbstständigkeit rund um meine Familie aufgebaut.

Würdest du anderen Mamis, die mit dem Gedanken spielen, sich selbstständig zu machen, dazu raten – auch wenn es bedeutet, eine sichere Festanstellung aufzugeben?

Das kann so pauschal tatsächlich nicht beantwortet werden. Da kommt darauf an: Welchen finanziellen Background habe ich, kann auf das Einkommen verzichtet werden? Was sind meine bisherigen Qualifikationen, habe ich vielleicht schon Kunden? Bevor ich meinen Job kündigen würde, würde ich es nebenberuflich probieren. Und wenn es über einige Monate gut funktioniert, kann der Schritt gewagt werden.

Was sollte Müttern bewusst sein, bevor sie sich selbstständig machen?

Ich kann nicht alle Stunden die ich arbeite, abrechnen. Das wird am Häufigsten ignoriert. Von meinen 20 Stunden kann ich meist nur 10 abrechnen. Der Rest geht für Social Media, Newsletter, Planung, Buchhaltung und Akquise drauf. Auch wenn eine Online-Selbstständigkeit eine kostengünstige Art ist sich selbstständig zu machen, so gibt es gewisse Kosten, die da sind. Haftpflichtversicherung, Tools und Hardware. Bei einer Vollzeit-Selbstständigkeit kommen dann noch Kranken- und Rentenversicherung hinzu.

Viele Mamis haben eine diffuse Idee im Hinterkopf, mit der sie sich gern selbstständig machen würden, wissen aber nicht, welchen Schritt sie als erstes gehen sollen. Was rätst du diesen Frauen? Gibt es einen konkreten Step-by-Step-Plan, an dem sie sich entlang hangeln können?

Diesen Frauen biete ich gern ein Gespräch an, um die Idee zu konkretisieren und dann genaue Handlungsempfehlungen zu geben. Meist erkennen die Frauen ihre Talente gar nicht, weil sie diese als zu selbstverständlich wahrnehmen.Im Allgemeinen empfehle ich als ersten Schritt mit der gewünschten Zielgruppe Interviews zu führen. Dabei kann man gut herausfinden, ob die Idee auch auf Interesse stößt. Wenn dem so ist, dann geht es dran das Gewerbe anzumelden und die steuerliche Anmeldung vorzunehmen.Ich habe eine kostenlose Checkliste mit einer Schritt-für-Schritt-Anleitung erstellt. Diese kann unter https://jessica-knackstedt.de/freebie-buerokratie/  herunter geladen werden.

Wie wichtig ist es, dass die Geschäftsidee bereits sehr konkret ist? Kann auch aus einer diffusen Idee im Laufe der Zeit etwas Großes werden?

Es muss nicht konkret sein. Wichtig ist, dass Frau macht! Meine Selbstständigkeit hat sich auch gewandelt. Das ist in meinen Augen total wichtig und ein Zeichen von Wachstum. Nicht mit dem zufrieden geben, was man hat, sondern innovativ bleiben, um den nächsten Schritt zu machen.

Was sind typische Fehler, die Frauen zu Beginn ihrer Selbständigkeit machen?

Prokrastination durch Perfektion! Erst die Website erstellen bis ins kleinste Detail oder eine komplette Brand ausarbeiten. Das ist völlig unnötig. Da die Ausrichtung der Selbstständigkeit sich zu Beginn noch verändert, muss dann alles erneut angepasst werden. Was wieder wahnsinnig viel Zeit bindet.

Hast du drei Fragen, die sich jede Frau stellen sollte, bevor sie sich selbstständig macht?

Habe ich die Selbstdisziplin mich und meine Arbeit zu strukturieren? Habe ich finanzielle Rücklagen, auch Krankheiten, Urlaub oder zahlungsunwillige Kunden zu überbrücken? Und als 3. ein Tip: Mach es nicht so kompliziert. Starte ruhig unperfekt. Wichtig ist, dass du überhaupt startest!

Finanziell unabhängig zu bleiben, ist für viele Mütter eine große Herausforderung. Viele werden abhängig vom Partner und haben zudem eine schlechtere Altersvorsorge. Was gilt es speziell für Gründerinnen zu beachten, um sich finanziell absichern?

In meinen Beratungen ist die Altersvorsorge immer ein Thema. Für mich ist es absolut wichtig, dass vom ersten Euro an auch Rücklagen gebildet werden. Sowohl fürs Alter, für die Steuern als auch für Investitionen und schlechte Zeiten. Ein Coach sagte mir mal: Sieh die Unterstützung deines Mannes nicht als Abhängigkeit, sondern als Investment in dich und deine Selbstständigkeit. Wenn er dich unterstützt, ist es ein Zeichen, dass er an dich glaubt! Eine Selbstständigkeit braucht nunmal zwischen 6-36 Monate, bevor sie stabiles Einkommen erwirtschaftet. Gib dir die Zeit.

Selbst und ständig sind die typischen Vorurteile, wenn es um Selbstständigkeit geht. Wie können Mütter es schaffen, sich selbst zu verwirklichen und dennoch Familienzeit für die Kinder einzuplanen?

Alles eine Sache von Disziplin und Planung. Vor allem von realistischer Planung. Wie viel Zeit muss ich wirklich aufwenden, um mein Umsatzziel zu erreichen? Ist das mit meiner Familie vereinbar und will ich diese Zeit auch aufbringen? Für mich war immer klar, dass ich keine Quality-Time mit meinen Kindern hergeben wollte. Daher war meine Arbeitszeit eingeschränkt und meine Umsatzplanung darauf abgestimmt. Es ist tatsächlich sehr viel Einstellungssache.

Oft werden Frauen belächelt, wenn sie sich z. B. mit einem Online-Shop selbstständig machen wollen. Mitunter sogar vom eigenen Partner, der sich vielleicht noch in der traditionellen Rolle des Alleinversorgers gefällt. Wie kann dieser mit ins Boot geholt und Vorurteile abgebaut werden?

Leider sehe ich selbst häufig, dass gerade die Onlineshops mit Handarbeiten eher ein Hobby sind und es nicht geschafft wird, damit echtes Geld zu verdienen. Das liegt in den meisten Fällen daran, dass mit zu niedrigen Stundensätzen gerechnet wird und die Menschen nicht bereit sind, Handarbeiten entsprechend zu honorieren. Im Dienstleistungsbereich sehe ich ebenfalls, dass nicht gut kalkuliert wird. 25 Euro als Selbstständige ist kein ausreichender Stundensatz. Ich muss von diesem Einkommen nicht nur Steuern und Versicherungen zahlen. Es muss auch mein Marketing, meine Buchhaltung und meine Inventionen finanzieren. Und dann soll auch noch Gewinn bleiben!? Unwahrscheinlich bei 25 Euro. Belächelt werden ist nicht schön. Ich kann das aber umgehen, indem ich eine echte Finanzplanung mache.

Was würdest du sagen, würde die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie für Mütter erleichtern?

Vereinbarkeit ist ja so ein Wort, ich kann es nicht mehr hören. Denn es ist so individuell wie unsere Familienmodelle. Für jede Mutter bedeutet es etwas anderes. Die eine will sich Geld dazu verdienen, die andere ist für das Familieneinkommen verantwortlich. Die eine möchte die Kinder selbst betreuen, bei einer anderen kann das familiär oder auch extern erfolgen. Was ich im Angestelltenbereich sehe ist, dass ein Kind oft einen Karriereknick mit sich bringt. Vor allem, wenn Möglichkeiten der Elternzeit vollumfänglich ausgenutzt werden. Eine Selbstständigkeit ist daher eine gute Alternative und auch fürs Selbstbewusstsein eine tolle Sache, wenn Frau sich die Unabhängigkeit erhalten kann. Die Herausforderung sehe ich in mangelnder Kinderbetreuung und klassischem Rollenbild-Denken, das noch weit verbreitet ist. Generell bin ich der
 Meinung, das Mütter zusätzliche Skills erhalten durch ihr Muttersein und das unterschätzt wird. Beispiel: Die Effektivität ist in Teilzeit deutlich erhöht, denn Mütter haben in der Regel keine Zeit über. Sie sind deutlich empathischer und stressresistenter. Das sollte viel mehr genutzt werden für familienfreundliche Arbeitszeitmodelle.

Liebe Jessica, wir danken dir für das Gespräch! In Jessicas Instagram-Profil findet ihr noch viele weitere nützliche Tipps rundum das Thema Selbstständigkeit.

Mehr über Jessica erfahrt ihr auch in dem Buch „Mama, mutig, mittendrin“. Die Autorin und Fotografin Corinna Mamok, selbst Mutter zweier Kinder, porträtiert darin knapp 50 inspirierende Mamis und zeigt ganz unterschiedliche Wege, seine eigene Rolle als Mutter zu finden. Denn wahrscheinlich hat sich jede Mami schon mal gefragt, wie man es schafft, sich nicht permanent mit anderen zu vergleichen. Oder weder die eigenen Bedürfnisse noch die des Kindes zu vernachlässigen. „Mama, mutig, mittendrin“ gibt ehrliche Einblicke in das Leben moderner Mütter – von Patchwork-Mamis über gleichgeschlechtliche Eltern, Alleinerziehende, Mütter in Voll- und Teilzeit, Selbstständige, die neu durchstarten. Und eine Message steht über allem: Es gibt nicht den richtigen Weg, sondern immer nur den eigenen! Corinna Mamok: Mama, mutig, mittendrin, Knesebeck Verlag, 25 Euro

Weitere inspirierende Frauen und ihre Gründungsgeschichten findet ihr in unserer Rubrik Mom der Woche.

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